"Spielräume" professionellen Schauspielens: Dispositiv, Institution or what else?

Arbeitstagung der AG Schauspieltheorie der Gesellschaft für Theaterwissenschaft, Institut für Film-, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft, JGU Mainz, 22. und 23. November 2019

Die Arbeitsgruppe Schauspieltheorie der Gesellschaft für Theaterwissenschaft trifft sich am 22. und (optional) am 23. November 2019 zu einer Arbeitstagung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Die Ausrichtung der Tagung erfolgt in Kooperation mit dem Mainzer Institut für Film-, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft (FTMK) und insbesondere mit dem an der Schnittstelle von Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften forschenden DFG-Teilprojekt „Theater zwischen Reproduktion und Transgression körperbasierter Humandifferenzierungen“ (2016–2020). In Fortsetzung und Öffnung der mit der Arbeitstagung in Leipzig zu „Dispositive professionellen Schauspielens: Praktiken, Diskurse, Machtgefüge“ (März 2017) begonnenen thematischen Neuausrichtung der Gruppe möchte die Tagung nicht nur zu einem kritischen Blick auf entsprechende Phänomene in historischen wie gegenwärtigen Kontexten anregen, sondern zugleich auch deren theoretische ‚Einhegung‘ zur Diskussion stellen.

Einsatz unserer Überlegung ist dabei die Frage nach der agency von Schauspieler/innen:

  • Davon ausgehend, dass Schauspieler/innen mit bestimmten Techniken und Merkmalen ausgestattet sein müssen oder mussten, um innerhalb konkreter historischer wie gegenwärtiger Konstellationen eine professionelle Persona aufzubauen, welche spezifischen Handlungsspielräume ergeben oder ergaben sich aus und neben ihnen?
  • Wie sieht das jeweilige organisatorische und institutionelle Umfeld aus, welches diese agency ermöglicht, reglementiert oder suspendiert?
  • Welche kontextspezifischen oder -übergreifenden Strategien lassen sich für Schauspieler/innen bezüglich ihrer Wahrnehmung als „professionell“, „bühnenreif“ oder in anderem Sinne „leistungsfähig“ konturieren?
  • Und welche bewussten, unbewussten oder zufälligen Spielräume einzelner Akteur/innen lassen sich mit Konzepten struktureller und/oder intentionaler Präfiguration nicht erfassen?

Der Dispositiv-Begriff bzw. dessen in den letzten Jahren zu beobachtende disziplinäre Konjunktur, zumeist in Anknüpfung an die diesbezüglichen Überlegungen Michel Foucaults und/oder deren Weiterführung durch z. B. Giorgio Agamben, kann in diesem Zusammenhang als Ausdruck einer allgemeineren Tendenz begriffen werden. Eine Tendenz, die – analog zur Theaterhistoriographie und hieran anknüpfend – auf eine systematische Erweiterung des theaterwissenschaftlichen Gegenstandsbereichs über das für das Gegenwartstheater nach wie vor dominante Paradigma der Aufführung und deren Analyse hinaus abzielt.[1] So findet im Fach derzeit eine Debatte über die Notwendigkeit und Herausforderungen einer theaterwissenschaftlichen „Institutionenforschung“ statt, ausgehend sowohl von der Beobachtung einer weitreichenden ‚Entgrenzung‘ der Aufführungskünste als auch von aktuellen gesellschaftlichen wie theaterspezifischen Themen und Entwicklungen (Migration, Diversität, Chancengleichheit, Hierarchien, Prekarisierung, Krise, Reform etc.) und verstärkt durch interdisziplinäre Forschungsverbünde unter theaterwissenschaftlicher Beteiligung (Berlin, Mainz, München).

Während der Dispositiv-Begriff theoretisch vielfältig aufgeladen und daher tendenziell als überdeterminiert erscheint, zeichnet sich der Institutionen-Begriff gerade durch seine Unbestimmtheit und ‚Barrierefreiheit‘ aus, die aus der größtenteils unreflektierten Übernahme einer alltagsweltlichen und somit emischen Begrifflichkeit in den wissenschaftlichen Diskurs resultiert; treffender wäre zumeist jener der Organisation.[2] Beides führt jedoch paradoxerweise dazu, dass man nahezu alles wahlweise als „Dispositiv“ oder als „Institution“ bezeichnen bzw. unter einer solchen Perspektive diskutieren kann, die sich – zugespitzt formuliert – bislang vor allem ex negativo bestimmen lässt (z. B. als „Nicht-Aufführungsanalyse“ oder „Nicht-Diskursanalyse“). Zumal Institutionen, neben Diskursen, architektonischen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen, philosophischen, moralischen und philanthropischen Lehrsätzen, in der letztlich vage gebliebenen Begriffsbestimmung Foucaults zentrale Elemente von Dispositiven darstellen, verstanden als „heterogene Gesamtheit“ bzw. als diese heterogenen Elemente verbindendes „Netz“.[3] Was meinen wir also konkret, wenn wir von „Dispositiven“ und/oder „Institutionen“ sprechen? Während das Interesse an einer theaterwissenschaftlichen „Institutionenforschung“ dabei zumeist nur implizit mit einer dezidiert kritischen Forschungshaltung verbunden ist (etwa gegenüber „dem institutionellen Theater“), hebt der Dispositiv-Begriff und dessen heuristischer Gebrauch hingegen explizit und fast schon programmatisch auf die Analyse von historisch kontingenten Machtverhältnissen und – weiterführend – auf die Möglichkeiten von deren (ästhetischer) Subversion ab.

Mit Blick auf den wissenschaftlichen Diskurs über die „Spielräume“ professionellen Schauspielens in einem solch erweiterten Sinne stellt sich vor diesem Hintergrund daher die Frage nach der Verschränkung von Erkenntnisinteresse und Gegenstand auf der einen und dessen Theoretisierung auf der anderen Seite:

  • Wie lassen sich die unterschiedlichen, einander stets überlagernden „Sinnschichten des Kulturellen“[4] und deren Zusammenspiel mit Blick auf die konkreten Arbeitsfelder der AG-Mitglieder – von schauspieltheoretischen Schriften über ästhetisch-künstlerische Praktiken in Historie und Gegenwart bis hin zu aktuellen Zulassungs- und Vermittlungsregularien – adäquat beschreiben und analysieren?
  • Welche (alternativen) Ansätze, etwa philosophischer, historischer, kultursoziologischer, gesellschaftstheoretischer und nicht zuletzt institutionentheoretischer Provenienz, stehen hierfür zur Verfügung?
  • Welche forschungspraktischen Implikationen sind damit jeweils verbunden? Welche Aspekte geraten so also vornehmlich ins Blickfeld und welche werden (systematisch) ausgeblendet?
  • Wo liegen die Grenzen der Anwendbarkeit der einzelnen Ansätze? Inwiefern ist deren Erklärungsgehalt etwa auf bestimmte Zeiträume, national wie kulturell geprägte gesellschaftliche Kontexte, Theaterformen und -strukturen und „Menschenbilder“ beschränkt?
  • Und – hieran anknüpfend – in welchem Verhältnis stehen Prozesse der Professionalisierung dabei zu jenen der Institutionalisierung im Sinne einer Verstaatlichung, Zentralisierung und Reglementierung?

Erwünscht ist – dem Modell der Arbeitsgruppe entsprechend – eine aktive Teilnahme. Hierfür stehen unterschiedliche Formate zur Verfügung:

  1. Vortrag (20 Minuten) mit anschließender Diskussion,
  2. Projektvorstellung (15 Minuten Referat mit Handout zu einem laufenden oder geplanten Forschungsvorhaben mit anschließender Diskussion/Feedbackrunde),
  3. Arbeitspapier (vorab Zirkulation eines Arbeitspapiers unter den aktiven Mitgliedern der Arbeitsgruppe bis Ende Oktober 2019, Diskussion/Feedbackrunde im kleinen Kreis).

Anmeldung mit gewünschtem Beitragsformat und Arbeitstitel bis 15. September 2019 an voss@uni-mainz.de, anja.kloeck@hmt-leipzig.de und w.ernst@uni-bayreuth.de.

Es stehen Mittel für Reisekostenzuschüsse zur Verfügung; Bedarfsmeldung gemeinsam mit der Anmeldung erbeten. 

Veranstaltungsort:

Rote „Info-Box“ am ReWi-Neubau, Kreuzung Jakob-Welder-Weg/Johannes-von-Müller-Weg, Campus Mainz

Zeitlicher Rahmen:

  1. November 2019 (Freitag): ganztägig, anschließend gemeinsames Abendessen in der Mainzer Altstadt(optional) 23. November 2019 (Samstag): halbtägig, bis ca. 13.00/14.00 Uhr

 

[1] Vgl. exempl. Aggermann, Lorenz (2017): „Die Ordnung der darstellenden Kunst und ihre Materialisation. Eine methodische Skizze zum Forschungsprojekt Theater als Dispositiv“, in: Aggermann, Lorenz/Döcker, Georg/ Siegmund, Gerald (Hg.): Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissen in Ordnung der Aufführung. Frankfurt am Main. 7–32; Klöck, Anja (2017): „Dispositive professionellen Schauspielens“, in: Kreuder, Friede-mann/Koban, Ellen/Voss, Hanna (Hg.): Re/produktionsmaschine Kunst. Kategorisierungen des Körpers in den Darstellenden Künsten. Bielefeld. 51–60.

[2] Vgl. zum alltagsweltlichen Verständnis von Institutionen bspw. Hasse, Raimund/Krücken, Georg (2005): Neo-Institutionalismus. Bielefeld, 13f.

[3] Vgl. Link, Jürgen (2014): „Das Dispositiv“, in: Kammler, Clemens/Parr, Rolf/Schneider, Ulrich Johannes (Hg.): Foucault Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Sonderausgabe. Stuttgart. 237–242, insb. 239f.

[4] Gemeint sind damit gleichermaßen sprachliche Strukturen, diskursive Repräsentationen und kognitive Schemata wie situierte Praktiken (im Sinne von routinisiertem Verhalten, Reden und habitualisiertem Gebaren, das sich auf verkörpertes Wissen stützt), dauerhafte institutionelle Infrastrukturen (von sozialen Beziehungen über Organisationen bis hin zu sozialstrukturellen Formationen) und Elemente materieller Kultur, vgl. Hirschauer, Stefan (2014): „Un/doing Differences. Die Kontingenz sozialer Zugehörigkeiten“, in: Zeitschrift für Soziologie 43:3. 170–191, 187f.