Praktiken in der Versammlung

 

Graduiertentagung: Praktiken in/der Versammlung.
Körper - Medien - Zeugenschaft

13. und 14. April 2018

GLK-Projekt "Wissenschaft als Beruf" (Institut für Film-, Theater- und empirische Kulturwissenschaft), Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Ausgangspunkt der Tagung ist das wiedererwachte Interesse an der Beschäftigung mit der Form und Wirkung öffentlicher Versammlungen in den 2010er-Jahren, wie es von Judith Butler in ihren Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung konstatiert wird. Ausgehend von der Annahme, dass die gemeinsame körperliche Inszenierung, wie sie für Demonstrationen charakteristisch zu sein scheint, eine plurale Form der Performativität darstellt, soll der Gegenstand der öffentlichen Versammlung als übergreifende Rahmung dienen, der eine intensive Auseinandersetzung mit dem Stellenwert des Körpers im Aktivismus, der daran anknüpfenden Rolle der Medien sowie Fragen der Zeugenschaft in politischen Kontexten ermöglicht.

Bereits Hannah Arendt thematisiert das Politische als Handeln, das auf das Zusammenkommen von Menschen angewiesen ist und zugleich die Freiheit mit sich bringt, Veränderungen der Wirklichkeit hervorzubringen. Gerade das Erscheinen von Körpern im öffentlichen Raum darf jedoch nicht als selbstverständlich erachtet werden, sondern muss auch auf seine infrastrukturellen Voraussetzungen befragt werden, sodass Differenzkategorien wie race, class, gender oder dis/ability entscheidende Auswirkungen auf die Konstitution der repräsentierten Gesellschaft respektive Gemeinschaft haben. Khalid Amine begreift hingegen die Online-Aktivitäten im Rahmen der Arabischen Revolution als eine Erweiterung und zugleich integralen Bestandteil der politischen Proteste auf den Straßen und Plätzen, was die Frage nach der Rolle sozialer Medien (wie Twitter oder Facebook), aber auch Fragen der Er- und Bezeugung von Protestbewegungen aufwirft. Die ständige mediale Vernetzung (etwa durch Smartphones) schafft vielfältige Dimensionen der Teilhabe und ermöglicht eine beschleunigte Dokumentation und Verbreitung, wodurch neue unmittelbare und selbstbestimmte Formen der Zeugenschaft thematisch relevant werden.

Die Tagung richtet sich an Doktorand*innen und Masterstudent*innen der Kunst- und Gesellschaftswissenschaften (z.B. Theater-, Film-, Kunst-, Literatur-, Medienwissenschaft; Philosophie; Sozial-, Politik-, Rechtswissenschaft; Kulturanthropologie, Ethnologie). Die Beiträge sollten sich mit dem Phänomen der Versammlung seit den 2010er-Jahren beschäftigen, wobei die Demonstrationen des sogenannten Arabischen Frühlings, die Pegida-Proteste in Dresden, die Occupy-Bewegung, die Proteste im Gezi-Park in Istanbul, die Demonstrationen gegen das deutsche Bundesteilhabe-Gesetz, die Gegenproteste zum G20-Gipfel in Hamburg oder die US-amerikanische Black Live Matters-Bewegung mögliche Untersuchungsgegenstände darstellen können.

Mögliche Untersuchungsfelder können sein:

1) Politiken/das Politische

  • Mit welchen Konzepten lässt sich das Politische (in) der Versammlung fassen?
  • Wie äußert sich Politik bzw. das Politische in und von Versammlungen und wie ist das Verhältnis zwischen Politik und dem Politischen zu beschreiben?
  • Welche spezifischen Formen von Theatralität lassen sich an politischen Versammlungen beobachten?

2) Wahrnehmung

  • Wie lässt sich das Erleben einer Versammlung erfassen und perspektivieren?
  • Wie etabliert sich die Wahrnehmung einer Versammlung als 'politisch'?
  • Welche Rolle spielen Aspekte des Immersiven für die Wahrnehmung und das Erleben von Versammlungen?

3) An- und Abwesenheit/Teilhabe

  • Wie manifestiert sich Teilhabe (Teilhabe durch Präsenz oder [medial] vermittelte Teilhabe)?
  • Wie lässt sich das Verhältnis von Teilhabe und Zeugenschaft beschreiben?
  • Inwiefern kann man von einer spezifischen Performativität der politischen Versammlung sprechen?
  • Welche Rolle spielt der Körper, seine An- oder Abwesenheit für aktivistische Forderungen und deren Äußerung?

4) Ethik in/der Versammlung

  • Mit welchem Verständnis des Ethischen lassen sich Praktiken in/der Versammlung beschreiben?
  • Welche Auffassungen des Ethischen lassen sich in Versammlungen beobachten?
  • Wie lassen sich Praktiken in/der Versammlung als ein Handeln in Relationen erfassen und perspektivieren?

5) Ethik und Ästhetik des Berichtens

  • Gibt es eine Ethik des Dokumentierens?
  • Inwiefern wird das Ereignis durch Handlungen des Dokumentierens und Berichtens entzogen oder überstiegen?
  • Wie lässt sich das Verhältnis von Ethik und Ästhetik in verschiedenen Formen des Berichtens fassen?
  • Wie lässt sich das Verhältnis von Zeugnis-Geben und Dokumentation politischer Versammlungen beschreiben?

Abstracts (ca. 250 Wörter) für 20-minütige Vorträge können bis zum 18.02.2018 per
E-Mail eingereicht werden: versammlung@uni-mainz.de.

Konzeption der Tagung: Miriam Flemming, Caroline Liss, Noa Winter, Jun.-Prof. Dr. habil. Julia Stenzel